Heute ist der 10.10., der Welttag für psychische Gesundheit (World Mental Health Day). Ein Tag, der dazu aufruft, mentale Gesundheit sichtbar zu machen, sich solidarisch mit Betroffenen zu zeigen und die damit verbundenen Stigmata abzubauen.
Allen, für die mentale Gesundheit aktuell ein Thema ist, wünsche ich, dass sie einen guten Umgang damit finden.
Das Thema betrifft uns alle, und wir alle können den Umgang damit reflektieren.
Zunächst möchte ich festhalten, dass Menschen, die stärker von Armut oder unterschiedlichen Formen der Diskriminierung betroffen sind (z. B. Rassismus oder Queerfeindlichkeit), häufiger von psychischen Leiden betroffen sind. Es ist offensichtlich, dass die Ungerechtigkeiten des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systems, in dem wir leben, mit dazu beitragen, psychische Leiden auszulösen oder zu verstärken und zusätzlich den Betroffenen nicht oder nicht genügend angemessene Unterstützung zur Verfügung stellen. Beispiele hierfür sind durch Kapitalismus verursachte Existenzängste und Leistungsdruck sowie die langen Wartezeiten für Psychotherapie.
Manche sagen sogar, dass psychische Krankheit eine gesunde Antwort auf ein krankes System ist.
So oder so, ich denke, zwei Punkte sind wichtig: Erstens, laut zu skandalisieren, in welcher Weise Kapitalismus und die jetzige Gesellschaftsordnung allgemein der mentalen Gesundheit schaden und in der Unterstützung der Betroffenen versagen. Zweitens, offen über mentale Gesundheit und psychische Krankheit zu sprechen – als ein emanzipatorischer Akt gegen Stigmatisierung und gegen Faschismus.
Der Welttag für psychische Gesundheit ist also gleichzeitig ein Tag gegen Kapitalismus und Faschismus? Ja, denn sowohl kapitalistische als auch faschistische Ideologien beruhen auf der kulturellen Norm des gesunden, leistungsfähigen, niemals Schwäche zeigenden Menschen. Diese Norm beinhaltet, dass psychische Krankheit, Leiden oder Unwohlsein doch bitte versteckt bleiben sollen, dass jede Person individuell dafür verantwortlich ist, sich im Privaten wieder "in den Griff zu bekommen". Lasst uns diese Norm durchbrechen! Ein ausschließlich privater Umgang mit mentaler Gesundheit kann zusätzlich die politische Dimension des Themas verdecken.
Mentale Gesundheit kann ein Thema sein, das uns verbindet, wenn wir uns offen darüber austauschen. Es kann ein Thema sein, das uns wütend auf das jetzige System macht und uns dazu motiviert, für eine andere Gesellschaft einzustehen, eine Gesellschaft, die nicht Leistung, sondern die Bedürfnisse aller in den Mittelpunkt stellt. Wie beispielsweise Anarchie. Mentale Gesundheit kann auch ein Thema sein, das uns dazu anregt, schon jetzt selbstorganisierte Strukturen zu schaffen, die uns helfen, uns gegenseitig zum Thema mentale Gesundheit zu unterstützen. Präfigurative Strukturen. Care-Netzwerke, Notfall-Netzwerke, Gruppen zum gegenseitigen Austausch, peer-to-peer Methoden wie Co-Counselling, und vieles mehr. (Das ist kein Aufruf dazu, Hilfe aus dem jetzigen staatlichen Gesundheitssystem abzulehnen und stattdessen auf alternative Medizin zu setzen. Graswurzelansätze der gegenseitigen Hilfe können jedoch da helfen, wo das Gesundheitssystem versagt.)
Das Spannende am Umgang mit mentaler Gesundheit ist, dass es wie Anarchie die Gleichzeitigkeit von Freiheit und Solidarität braucht: Jeder Mensch braucht die Freiheit, entscheiden zu können, wie er mit seiner mentalen Gesundheit umgehen möchte, ob er Begriffe wie "Krankheit" oder "Leiden" oder "Diagnose" verwenden will oder nicht, ob diese Begriffe ihm helfen oder nicht, welche Art von Unterstützung er annehmen möchte. Dies ist eine Form der Selbstermächtigung und Verantwortung für sich selbst. Gleichzeitig ist Solidarität mit Betroffenen wichtig, systemische Ursachen zu analysieren, das Thema aus der privaten Isolation herauszuholen und Netzwerke der Unterstützung zu bauen. Der solidarische Umgang mit psychischer Gesundheit, nicht zur Steigerung der Produktivität, sondern zur Steigerung des Wohlbefindens aller, ist ein Weg zur Transformation in emanzipatorischere Gesellschaften, in Gesellschaften, die mentale Gesundheit und die Bedürfnisse aller Menschen als Basis von allem begreifen.