Im Rahmen der 10. Anarchietage in Winterthur 2020 mit dem Schwerpunkt Klimakrise! Widerstand und Perspektiven habe ich mich mit einem Workshop zu Utopien beteiligt.
Vielen Dank an dieser Stelle nochmal für das tolle Organisator_innen-Team der Anarchietage.
Mit den Protesten gegen Klimawandel wurde der Ruf nach Systemwandel wieder lauter. Doch welches System, welche Utopie streben wir an? Welche Antwort haben herrschaftsfreie und dezentrale Gesellschaftsentwürfe auf globale Herausforderungen wie den Klimawandel? Es geht nicht darum, eine Utopie als "die Richtige" darzustellen, sondern durch den Austausch über Utopien, Orientierung für die nächsten politischen Schritte abzuleiten. Nach einem Input zu Utopien freier und solidarischer Gesellschaften ist Zeit für den Entwurf konkreter Utopien und Austausch über Ideen zur Transformation in Kleingruppen.
Ein einzelner Workshop kann nicht die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest geben und auch keine fertige anarchistische Utopie entwerfen. Eine fertige Utopie kann es meiner Meinung nach sowieso nicht geben. Zum einen, weil sich Utopien weiter entwickeln müssen, zum zweiten, weil es keine eindeutig "richtige" Utopie geben kann und zum dritten, weil es unmöglich ist, einen exakten Bauplan für auf Freiheit basierende Gesellschaften zu entwerfen. Wichtig ist jedoch die Diskussion über anarchistische Utopien weiter fortzusetzen und unterschiedlichen Entwürfen nicht mit Ignoranz und Spaltung der Bewegung, sondern mit kritisch solidarischer Kritik zu begegnen.
Der Input beschreibt historische anarchistische Modelle nicht im Detail, sondern regt zum Nachdenken über heutige Anforderungen an anarchistische Utopien an. Denn heute stehen wir im Vergleich zu vor 100 Jahren vor einer veränderten Situation:
In dem kurzen Input ging es um das "Was?", "Warum?" und "Wie?" der Utopiediskussion. Auch gemeinsame Grundzüge anarchistischer Utopien und ein grober Überblick über anarchistische Strömungen wurden erwähnt. Da die dezentrale Struktur anarchistischer Entwürfe die Koexistenz unterschiedlicher Utopien und Gesellschaftsformen ermöglicht, ist es auch spannend über die Vereinbarkeit von sich scheinbar widersprechenden Modellen nachzudenken.
Zum Nebeneinander unterschiedlicher politischer Systeme ein Zitat von Max Nettlau aus "Panarchie. Eine verschollene Idee von 1860": „Es handelt sich nur um eine einfache Erklärung im politischen Bureau der Gemeinde, und ohne Schlafrock und Pantoffeln auszuziehen, mag man von der Republik zur Monarchie, vom Parlamentarismus zur Autokratie, von der Oligarchie zur Demokratie oder selbst zur An-archie des Herrn Proudhon nach eigenem Belieben übergehen.“
Der Input regt dazu an, die Frage der Transformation, also dem "wie kommen wir zur Utopie?", dann zu diskutieren, wenn schon grob klar ist, welche Utopie angestrebt wird. Selbstverständlich kann eine Utopie nie "fertig" sein und muss genau wie die Ideen zur Transformation immer wieder an neue Anforderungen angepasst werden. Es wurden unterschiedliche Transformationsideen angedeutet und dazu angeregt, das eigene politische Handeln von den langfristigen und kurzfristigen Zielen der Transformationsideen inspirieren zu lassen. "Strategie" kann elitär, exklusiv, militärisch klingen, muss sie aber nicht sein. Wir können kooperativ Strategien entwickeln.
Sich mit Utopie und Transformation zu beschäftigen, kann sich überwältigend anfühlen, da das ein riesiger Themenbereich ist. Auch kommt es vor, sich selbst überwinden zu müssen, die eigene Utopie konkreter auszuformulieren, da mensch sie damit potenziell Kritik aussetzt. In beiden Fällen kann es hilfreich sein, sich immer wieder klar zu machen, dass es nicht "die eine richtige Lösung" auf diese Fragen gibt und diverse Perspektiven wichtig sind. Einfach angstfrei an einer Stelle anfangen.
Die Präsentation zu dem Workshop kann gerne für andere Workshops weiter genutzt werden. Das PDF enthält sowohl den Input als auch die Gedankenanstöße für den Kleingruppenteil.
Für den Kleingruppenteil gibt es 12 thematisch unterschiedliche Bereiche, sodass sich Leute möglichst mit denen Themen beschäftigen können, die sie am meisten interessieren.
Noch eine Anmerkung zur verlinkten Präsentation und zu den im Stil des "Political Compass" angeordneten linken Strömungen und den Transformationsansätzen: Eine solche Einordnung in ein Raster kann nur verkürzt sein. Jedoch kann sie meiner Meinung nach in Diskussionen ein Anhaltspunkt zum Konkretisieren und infrage Stellen sein.